Wo um alles in der Welt liegt Neuhaus?

Über eine erhellende Wiederbegegnung mit Thomas Bernhards „Heldenplatz“.

Kleine Zeitung, 5. Jänner 2011

EGYD GSTÄTTNER

Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr nutzte ich, um meine Wiener Angelegenheiten zu regeln, und abends ging ich ins Theater (in der Josefstadt), wo man „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard gab. Seltsam, den einstigen Staatsskandal nun im Schlafrock zu sehen. Manche lachten, viele schliefen, niemand regte sich auf. Obwohl keine jungen, nur alte Menschen im Publikum waren, verstand kaum noch jemand, wie man sich damals vor über 20 Jahren, als Österreich noch Österreich war, so über Originalösterreich empören konnte. Bernhards Befunde stimmen zwar nach wie vor, sind aber mittlerweile zu ihrer eigenen Parodie geworden.

Drei Orte sind im Stück von Belang: Wien (schrecklich), Oxford (edel) und Neuhaus (ländlich großartig). Neuhaus ist für die seelisch malträtierten Bernhardfiguren das, was für die Tschechovfiguren Moskau (oder die Kirschblüte) bedeutet: Das imaginierte Paradies. Als sie das Wort Neuhaus hörten, schreckten sowohl die schlafenden, als auch die schwatzenden Josefstadtbesucher auf und fragten wie aus einer Kehle: Wo um alles in der Welt ist Neuhaus?

Mein großer Augenblick war gekommen. Ich erhob mich, verbeugte mich und dozierte: Neuhaus (slow. Suha) ist ein 1250-Seelenort in Südkärnten im Bezirk Völkermarkt. Bernhardesk gesagt: Gute Luft, wenig Nazis, wenig Nadelstreifanzüge. Herrlich! Eigentlich ein Wunder, dass die Ortschaft nicht schon längst „Bernhard-Kurort Neuhaus“ heißt, ihr Hauptplatz „Heldenplatz“ und warum man dort weder Frau Zittels Bügelstube noch das Hotelrestaurant „Zum einfältigen Zimmermädel“ findet. Den ganzen Tag lang erklärt das Schaumädel am Eingang: „In Graz muss niemand gewesen sein. Aber in Neuhaus muss man gewesen sein!“ Heute darf man sich keine Marketingchance entgehen lassen, wenn sie einem so ein Kapazunder wie Bernhard schon auflegt. Bernhardtouristen sind gute Touristen! Wertschöpfungstouristen! Und wenn die Neuhäuslerinnen und Neuhäusler lieb und brav sind und nicht so schiach daherreden wie Bernhard selbst, kriegen sie auch eine Linksabbiegespur.

Am Ausgang flüsterte mir der Kartenzwicker ins Ohr: „Neuhaus ist eine literarische Fiktion. Neuhaus gibt es gar nicht!“ Ich verdrehte die Augen und zischte zurück: „Die Wirklichkeit ist so schlimm, dass sie nicht beschrieben werden kann!“


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